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Sofi geriet ins Schwitzen. Der Mann lief immer weiter auf der Drottninggatan nach Süden. Idas Buchgeschäft hatten sie längst passiert, die Olof Palmes Gatan auch und soeben die Kungsgatan. Er läuft zum Sergels Torg, sagte sie sich. Bisher hatte er sich kein einziges Mal umgedreht. Seit dem Heumarkt tauchten immer mehr Nachtschwärmer auf. Das verbesserte ihre Lage. Kurz bevor die Drottninggatan den riesigen Sergels Torg streifte, ließ sich Sofi wieder zurückfallen. Sie band ihr Haar zusammen und drehte ihre blaue Jacke auf links. Jetzt war sie hellbraun. Der Mann trat auf den Zebrastreifen, blieb jedoch jäh stehen und machte einen Schritt zurück auf den Bordstein. Ein Polizeiauto hielt. Anscheinend winkte der Fahrer, denn der Mann setzte sich in Bewegung, nickte dankend und überquerte die Straße. Das Polizeiauto fuhr weiter.

Das war wirklich erstaunlich, fand Sofi. Der Mann wurde mit Reichsalarm der höchsten Stufe in ganz Schweden und Europa gesucht und konnte ungehindert vor den Augen der Polizei den Sergels Torg überqueren. Dabei hatte er markante Gesichtszüge und dichtes schwarzes Haar, was man auch auf den Fahndungsfotos gut erkennen konnte.

Er ging so stur geradeaus, dass Sofi langsam wütend wurde. Die Drottninggatan führte noch ein Stück weiter bis hinab zum Reichstag und fand dort am Norrström ihr Ende. Als Sofi den Zebrasteifen erreichte, sprang die Fußgängerampel auf Rot. Sie musste zwei Autokolonnen vorbeilassen, behielt den Mann jedoch durch das Gewimmel hindurch im Blick. Als sie den Fuß auf die Straße setzte, wurde ihr Gesicht von einem Lichtkegel angestrahlt. Sie konnte gerade noch zurückspringen. Ein Lieferwagen schoss über den Zebrastreifen. Den hatte sie gar nicht kommen sehen. Sie musste sich beeilen, um aufzuholen. Auf dem Seminar hatte sie gelernt, dass man dabei nicht rennen darf. Die Schrittfrequenz muss mit dem Verfolgten übereinstimmen. Das galt sogar, wenn man aufeinander zuging. Will man aufholen, muss man doppelt so schnell gehen wie das Objekt. Ein Fuß muss immer den Boden berühren.

Auf dem letzten Abschnitt der Drottninggatan waren sie rasch wieder die einzigen Menschen. Der Mann überquerte die nächste Querstraße. Kurz bevor sie dort ankam, tauchte ein weißer Transit auf und rollte vorbei. Sofi blieb sofort stehen. Es war derselbe Wagen wie vorhin am Zebrastreifen.

War sie etwa nicht die einzige?

Warum lief der Mann eine so lange Strecke zu Fuß?

Sie war es, die verfolgt wurde.

Sofi fuhr herum. Die Straße war leer. Sie blickte sorgsam nach links und rechts in die Querstraße und überquerte sie dann. Beim Weitergehen steckte sie ihr Kopfhörerkabel ins Telefon und suchte im Verzeichnis nach der Nummer.

„Ja?“

„Sofi Johansson. Verfolge gesuchte Person RKA-116 die Drottninggatan hinab. Bist du noch im Überwachungsraum?“

„Ich laufe hin“, antwortete Kullgren.

Er klang wie immer seelenruhig. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die eine Situation sofort erfassten, ohne dass man etwas erklären musste. In der Not würde sie immer den Chef der Säpo anrufen.

„Kannst du ein Verfolgungsmuster erstellen?“, fragte sie.

Am anderen Ende hörte Sofi ihn eine Tür aufstoßen. „Wirst du selbst verfolgt?“

„Unklar. Weißer Lieferwagen schneidet auf der Klarabergsgatan nach Osten und zwei Minuten später in entgegengesetzter Richtung auf der Vattugatan.“

Sofi hörte Tastaturgeklimper. Kullgren rief sich den Stadtplan auf den Hauptbildschirm. „Es ist wahrscheinlich. Er fährt einen sinnlosen Kreis. Wir suchen den Wagen. Lauf weiter Richtung Reichstag. Du erreichst gleich den äußeren Kameraring.“

Sofi versuchte, ruhig durch die Nase zu atmen. Am anderen Ende der Leitung murmelten die Stimmen mehrerer Menschen. Sie blickte sich um. Der Mann und sie bewegten sich nun in das Regierungsviertel. Das gab Sofi neuen Mut.

„Wann kommt der Ring?“

„Du bist schon dran vorbei. Warte.“

„RKA-116-Identifizierung positiv“, rief ein anderer als Kullgren.

„Hast du gehört? Er ist es.“

„Wir sind bald am Wasser. Was soll ich tun?“

„Unsere Agenten sitzen schon zu Hause. Ich kann Schutzpolizei schicken.“

„Auf keinen Fall.“

„Wo ist deine Gruppe? Wir können sie nicht erreichen.“

„Ich weiß es nicht.“

„Ich schicke dir das mobile Team. Sie starten jetzt aus Süden und brauchen sechs Minuten.“

03 - Der kopflose Engel
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